Morgenglosse

Es gibt einen Grund, warum Martin Selmayr von „Blutgeld“ sprach

Martin Selmayr
Martin Selmayr Martin Selmayr, Leiter der Vertretung der EU-Kommission in Wien.
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Der Repräsentant der EU-Kommission in Wien, Martin Selmayr, formulierte undiplomatisch drastisch, als er Österreichs Erdgaszahlungen an Russland als „Blutgeld“ bezeichnete. Seine Kritiker blenden jedoch den Kontext seiner Aussage aus.

Die schroffe Wortwahl frappiert. Bei einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen der Kunstmesse Viennacontemporary hat Martin Selmayr, der Repräsentant der EU-Kommission in Wien, die milliardenschweren Zahlungen, die Österreich immer noch für Erdgas nach Russland leistet, als „Blutgeld“ bezeichnet. Es sei verwunderlich, dass dagegen nicht auf der Wiener Ringstraße demonstriert werde, sagte er einem Bericht der Nachrichtenagentur APA zufolge.

Die darauf folgende Aufregung war groß. Die FPÖ forderte die Abberufung des Diplomaten. Das Außenamt zitierte ihn zu einem Gespräch ins Ministerium. Europaministerin Karoline Edtstadler rügte die „unseriösen“ und „völlig einseitigen“ Äußerungen Selmayrs. Und selbst die Sprecherin der EU-Kommission distanzierte sich von den „bedauerlichen und unangemessenen Aussagen des Leiters der Repräsentanz in Österreich“.

So schnell kann es gehen, binnen weniger Stunden kann der Stab gebrochen sein über einen fachlich versierten Beamten – auch von Institutionen, die sich häufig darüber beschweren, dass Bemerkungen aus dem Kontext gerissen seien. Auch in diesem Fall spielt der Kontext eine Rolle, ist jedoch in der kurzatmigen Empörung unerwähnt geblieben. Gegenüber der „Presse“ erläuterte Selmayr den Zusammenhang seiner allseits kritisierten „Blutgeld“-Ausführungen. Demnach habe er damit am Ende der Diskussionsveranstaltung auf Einlassungen eines Mannes aus dem Publikum reagiert, der zu Protesten gegen die „kriegstreiberische“ EU (und nicht etwa gegen die Kriegsverbrechen Russlands) aufgerufen und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeworfen hatte, „Blut“ an ihren Händen zu haben. Das wollte der deutsche EU-Beamte nicht stehen lassen. Deshalb sprach er von „Blutgeld“. Deshalb sagte er überhaupt, dass man lieber dagegen demonstrieren sollte und nicht gegen die EU.

„Blutgeld“ ist ein hartes Wort – und unangemessen drastisch aus dem Mund eines Mannes in einer diplomatischen Funktion. Inhaltlich jedoch liegt Selmayr nicht falsch. Österreich hat sich zwar bemüht, seine Energie-Abhängigkeit zu reduzieren, bezieht aber immer noch mehr als die Hälfte seines Erdgases aus Russland. Und mit den Milliarden aus den Erlösen daraus finanziert der russische Präsident, Wladimir Putin, unter anderem seinen verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine.

Der Ausstieg aus dem russischen Gas ist für die Bevölkerung Österreichs mit Kosten verbunden. Das Thema ist heikel und eignet sich deshalb nicht für zugespitzte Polemiken, die offenbar schnell missverstanden werden können. Selmayr hat überzogen formuliert, allerdings bei einer Veranstaltung mit 50 Leuten und eher überraschender Medienpräsenz. Er wird das vermutlich mittlerweile selbst bedauern. In der Sache aber hat Selmayr recht.

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